In einer globalisierten und vernetzten Welt dient das Völkerrecht dazu, die Beziehungen zwischen den Staaten zu regeln. Viele Alltagssituationen sind durch Völkerrecht geregelt, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Da sind beispielsweise die Doppelbesteuerungsabkommen, die dafür sorgen, dass eine Person dieselben Vermögenswerte nicht in zwei Ländern versteuern muss. Oder die Handelsverträge, die beim Import und beim Export von Gütern Erleichterungen zwischen den Staaten schaffen. Oder aber die Abkommen im Bereich der internationalen Rechtshilfe und die Auslieferungsübereinkommen, mit denen es möglich ist, Straftäterinnen und Straftäter zu verfolgen, selbst wenn sie ins Ausland geflüchtet sind.
Das Völkerrecht im Alltag (Webseite des Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA)
Ein internationales Abkommen als solches verpflichtet die Schweiz noch nicht zu dessen Einhaltung; dies ist erst der Fall, wenn das innerstaatliche Genehmigungsverfahren abgeschlossen ist. Wichtige Abkommen müssen vom Parlament genehmigt werden und unterstehen dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum. Link: Das obligatorische und das fakultatives Referendum in der Schweiz
Der Beitritt zu Organisationen für kollektive Sicherheit oder zu supranationalen Gemeinschaften (z. B. zur Europäischen Union) untersteht dem obligatorischen Referendum. So wurde der Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum dem obligatorischen Referendum unterstellt und 1992 von Volk und Ständen abgelehnt.
Der Bundesrat kann selber Abkommen abschliessen, sofern das Parlament ihn in einem Gesetz oder einem Vertrag dazu ermächtigt hat.
Was die Bundesverfassung vorschreibt
Die Bundesverfassung verpflichtet den Bund und die Kantone dazu, das Völkerrecht einzuhalten. Grundsätzlich hat das Völkerrecht Vorrang gegenüber dem Landesrecht (man sagt auch «es geht vor»). Ein absoluter Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Landesrecht kann aus der Verfassung allerdings nicht abgeleitet werden. Die Verfassung sieht zudem vor, dass die Gerichte sowohl das Völkerrecht als auch die Bundesgesetze anwenden müssen. Sie enthält jedoch keine ausdrückliche Bestimmung, was bei Kollisionen gilt.
Die Rechtsprechung (die Entscheide) des Bundesgerichts
Auf der Grundlage von Bestimmungen in der Bundesverfassung und von allgemeinen Rechtsgrundsätzen hat das Bundesgericht die folgenden Regeln entwickelt:
Bei einer Kollision zwischen einer in der Schweiz anwendbaren Bestimmung des Völkerrechts und einer Bestimmung des Landesrechts versucht das Bundesgericht zuerst, die Bestimmung des Landesrechts im Sinne des für die Schweiz verbindlichen Völkerrechts auszulegen und umzusetzen.
Ist eine solche Auslegung nicht möglich, geht die völkerrechtliche Bestimmung vor.
Hat jedoch das Parlament bewusst ein Gesetz erlassen, das dem Völkerrecht widerspricht, ist ausnahmsweise das entsprechende Bundesgesetz anwendbar. Eine Ausnahme von der Ausnahme bilden die völkerrechtlich garantierten Menschenrechte (etwa das Recht auf Familienleben); sie haben immer Vorrang vor dem Landesrecht.
Die Schweiz hat die EMRK ratifiziert und sich damit zu deren Einhaltung verpflichtet. Werden die Regeln der EMRK verletzt, muss man sich zuerst an die schweizerischen Gerichte wenden; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg kann erst in letzter Instanz angerufen werden. Die Entscheide dieses Gerichtshofs sind für die Konfliktparteien bindend.
Der Inhalt einer Volksinitiative muss die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts einhalten, d. h. die Grundsätze des Völkerrechts, die die internationale Gemeinschaft als unantastbar anerkannt hat. Dabei geht es z. B. um das Verbot der Folter, des Völkermords und der Sklaverei. Die Bundesversammlung erklärt eine Initiative ganz oder teilweise für ungültig, wenn sie die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts verletzt.
Siehe Artikel 139 Absatz 3 der Bundesverfassung.
Eine Initiative, die Bestimmungen des Völkerrechts verletzt, die nicht zwingend sind, kann hingegen für gültig erklärt werden. Sie wird wie alle anderen Volksinitiativen dem Volk und den Ständen zur Abstimmung unterbreitet.
Wird eine solche Initiative angenommen, versucht das Parlament im Rahmen des Möglichen, sie so umzusetzen, dass einerseits den Forderungen der Initiative gebührend Rechnung getragen und andererseits den internationalen Verpflichtungen der Schweiz Genüge getan wird.