Die im Oktober 1848 durchgeführten Wahlen waren dadurch gekennzeichnet, dass sie mehr oder weniger improvisiert werden mussten: Vor der ersten Wahl gab es weder ein Wahlgesetz (das erste Wahlgesetz trat erst 1850 in Kraft) noch einen einheitlichen Wahltermin. Die Tagsatzung wies die Kantone am 14. September 1848 lediglich an, die Wahlen «sofort vorzunehmen», das heisst vor dem 6. November, weil an jenem Montag die Bundesversammlung zum ersten Mal tagen sollte.
Damals durften über 20-jährige Männer, die Schweizer Bürger waren, an den Wahlen teilnehmen. Es gab zahlreiche Ausschlussgründe.
Die Bundesverfassung von 1848 sah vor, dass der Nationalrat aus den «Abgeordneten des schweizerischen Volkes» gebildet wird. Auf 20 000 «Seelen» sollte ein Mitglied gewählt werden. Der erste Nationalrat zählte somit 111 Mitglieder. Jeder Kanton oder Halbkanton hatte mindestens ein Mitglied.
Die ersten Nationalratswahlen verliefen ohne besondere Spannung. Nach dem Bürgerkrieg bildeten die Freisinnigen eine Übermacht; es gab keine ebenbürtigen Gegner. Da die Tagsatzung den Kantonen bei den Wahlen freie Hand liess, machte sie es den Liberal-Radikalen zusätzlich leicht, die Opposition von den Wahlen abzuhalten oder sogar auszuschalten. Gründe für einen Wahlausschluss waren beispielsweise Bedürftigkeit, Konkurs, Rückstand bei der Bezahlung der Steuern – oder im Kanton Freiburg die Weigerung, den Eid auf die neue Verfassung zu leisten.
In manchen Kantonen fanden die Wahlen zudem an einem Mittwoch statt – und zwar um elf Uhr morgens. Damit sollte Lohnabhängigen die Teilnahme an der Wahl erschwert werden. In ihnen vermutete man nämlich ein potenzielles Wählerreservoir der Opposition. Nicht selten wurde die Wahl auch an entlegenen, schlecht erreichbaren Wahlorten vorgenommen.
Gewählt wurde 1848 in 52 relativ willkürlich festgelegten Wahlkreisen. Sechs davon waren Landsgemeinde-Kantone, in denen die Stimmenzahlen nicht ermittelt wurden. Für die 104 Sitze, unter Abzug der Landsgemeinde-Kantone, präsentierten sich im ersten Wahlgang 216 Kandidaten. Gewählt wurde nach dem Majorzprinzip.
Einzelne Kantone begnügten sich mit dem relativen Mehr; gewählt waren die Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten hatten. Andere Kantone verlangten, um gewählt zu werden, das absolute Mehr der Stimmen (mindestens eine Stimme mehr als die Hälfte der Stimmen), was die Wahlen teilweise langwierig machte, sodass in 46 Wahlkreisen insgesamt 70 Wahlgänge nötig waren, um die Gewählten zu bestimmen! Nur in 27 Wahlkreisen siegte ein Kandidat bereits im ersten Wahlgang. In 15 Wahlkreisen brauchte es zwei, in drei waren drei und in einem vier Wahlgänge nötig.
Ein Grund für die vielen Wahlgänge war auch, dass viele der Kandidaten gleichzeitig in mehreren Wahlkreisen kandidierten – was mittlerweile nicht mehr möglich ist. Wegen dieser Mehrfachkandidaturen mussten in manchen Wahlkreisen Ergänzungswahlen stattfinden.
Die ersten Wahlen brachten, wie erwartet, einen überwältigenden Sieg für die Freisinnigen, die 87 der 111 Sitze im Nationalrat eroberten. Ihnen gegenüber standen lediglich 14 Konservative, und die restlichen 10 Sitze wurden von Vertretern der politischen Mitte besetzt. Im Ständerat eroberten die Freisinnigen 30 der 44 Sitze, während 6 Sitze an die Katholisch-Konservativen gingen und 8 Sitze an die Vertreter der gemässigten Liberalen.