Ende des 19. Jahrhunderts wurden Berechnungsmethoden entwickelt, mit denen man nachweisen konnte, wie das Wahlsystem die Sitzverteilung beeinflusst. Der Obwaldner Politiker Josef Durrer stellte in den 1880er-Jahren die Zahlen für insgesamt vier Wahlen zusammen (1881–1890) und zeigte auf, wie stark das bestehende Majorzsystem die Minderheiten benachteiligte. Nach der Bekanntgabe dieser Berechnungen und der erneuten Enttäuschung der Minderheitsparteien bei den Wahlen 1890 kam es nun zu ersten direkten Angriffen gegen das Majorzsystem.
Am 4. November 1900 lehnten Volk und Stände eine erste Proporzinitiative ab. Auch die zweite Initiative, über die am 23. Oktober 1910 abgestimmt wurde, hatte keine Chance – obwohl das Ständemehr erreicht wurde. Am 13. Oktober 1918 dann stimmten Volk und Stände der dritten Initiative über die Proporzwahl des Nationalrates mit 66,8 % Ja-Stimmen deutlich zu.
Die ersten Proporzwahlen auf nationaler Ebene fanden 1919 statt und führten – entgegen verschiedenen vorangegangenen Berechnungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – zu einer massiven Veränderung der Kräfteverhältnisse im Nationalrat. Die Freisinnigen verloren nahezu die Hälfte ihrer Sitze. Zu den Gewinnern gehörten die Sozialdemokraten (SP) und die Bauernpartei (heute SVP).
Sitzverteilung bei den Nationalratswahlen 1917 (Majorz) und 1919 (Proporz):
Jahr | Soz. dem. | Freisinnige | Liberale | Kath. Kons. | BGB | Andere | Total |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1917 | 20 | 103 | 12 | 42 | 4 | 8 | 189 |
1919 | 41 | 60 | 9 | 41 | 29 | 9 | 189 |
Die vier grössten Parteien blieben von der ersten Proporzwahl 1919 bis 1991 je ungefähr gleich gross. Ab 1995 wuchs die SVP zur wählerstärksten Partei.
Bemerkenswert bei der Ausgestaltung der Proporzwahlregeln ist die den Wählerinnen und Wählern gewährte Freiheit, Kandidatinnen und Kandidaten zu streichen, doppelt aufzuschreiben (kumulieren) oder von anderen Parteilisten zu übernehmen (panaschieren). Damit bestimmen nicht vor allem die Parteien, sondern das Schweizervolk, welche Personen in den Nationalrat gewählt werden.